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Prof. Dr. Albert Gouaffo von der Universität Dschang erhält als erster Wissenschaftler aus Kamerun den Jacob- und Wilhelm-Grimm-Preis des DAAD.

Professor Albert Gouaffo, Literatur- und Kulturwissenschaftler an der Universität Dschang, stellt die deutsche Kolonialzeit in Kamerun ins Zentrum seiner Forschung – und wird nun mit dem Jacob- und Wilhelm-Grimm-Preis des DAAD ausgezeichnet. Ein Gespräch über historische Verantwortung und transkulturelle Perspektiven.

Herr Professor Gouaffo, welche Spuren kolonialer Geschichte untersuchen Sie in Ihrer Forschung?

Ein Schwerpunkt liegt auf der deutschsprachigen Literatur über Kamerun – nicht nur von Kamerunerinnen und Kamerunern, sondern auch von Deutschen, die sich mit Kamerun befassten, auch ohne je dort gewesen zu sein. Diese Texte eröffnen Einblicke in koloniale Strukturen, die über das Ende der Kolonialzeit hinauswirkten. In einem gemeinsamen Projekt mit der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf haben wir mit Studierenden untersucht, welche Relikte der kolonialen Vergangenheit sich bis heute im Rheinland und im kamerunischen Grasland zeigen lassen – in Straßennamen, Museen, alten Schulen. Daraus sind ein Film, eine interaktive Karte und ein Sammelband zur transkulturellen Erinnerungskultur entstanden. In einem Projekt zusammen mit der Kunsthistorikerin Professorin Bénédicte Savoy habe ich einen „Atlas der Abwesenheit“ erstellt. Darin dokumentieren wir erstmals systematisch die mehr als 40.000 kamerunischen Kulturgüter, die bis heute weitgehend unbeachtet in deutschen Museumsdepots lagern.

Wo sehen Sie im Umgang deutscher Museen und Archive mit dem kolonialen Erbe den größten Handlungsbedarf?

Deutschland ist mittlerweile auf einem guten Weg. Es hat bereits Rückgaben gegeben, insbesondere von menschlichen Überresten, und es gibt ein wachsendes Bewusstsein für die historische Verantwortung. Doch wenn ich Museumsmagazine betrete, wirken sie auf mich zum Teil noch immer wie Friedhöfe. Viele Objekte wurden in der Kolonialzeit aus ihrem sozialen und spirituellen Kontext gerissen und dadurch ihrer symbolischen Bedeutung beraubt. Die Museen zeigen ihre materielle Hülle, aber nicht ihre Energie, ihre Geschichte, ihren Sinn. Besonders schmerzhaft ist der Umgang mit menschlichen Überresten. Schädel, Knochen, konservierte Körperteile wurden über Jahrzehnte wie wissenschaftliches Material behandelt – nummeriert, archiviert, benutzt. Ihre Rückgabe ist ein ethisches Gebot und eine notwendige Voraussetzung für kollektive Trauerarbeit. Rehumanisierung beginnt dort, wo wir diesen Überresten wieder Identität und Würde zurückgeben – indem wir ihre Biografien rekonstruieren und sie aus der Anonymität holen. In diesem Zusammenhang engagiere ich mich auch im DAAD-Programm German Colonial Rule, wo ich als Zweitgutachter ein Promotionsprojekt zur Provenienz menschlicher Überreste aus Kamerun mitbetreue.

Was unterscheidet die Erinnerungskulturen in Deutschland und in Kamerun?

In Deutschland ist die Erinnerungskultur stark vom Holocaust geprägt, während die koloniale Vergangenheit lange verdrängt wurde. Dabei bestehen direkte Verbindungslinien: Viele der rassistischen Denkweisen und Gewaltpraktiken, die in den deutschen Kolonien entwickelt oder erprobt wurden, wirkten im Nationalsozialismus weiter. In Kamerun begegnet man der Kolonialzeit häufig mit Nostalgie oder Sprachlosigkeit, weil es oft noch an Aufarbeitung fehlt. Was wir brauchen, sind Räume der Begegnung – Orte, an denen über diese Vergangenheit gesprochen werden kann.

Interkulturelle Kommunikation hilft, eigene Perspektiven zu hinterfragen und Verständigungsräume zu schaffen.
Prof. Dr. Albert Gouaffo

Sie waren mehrfach mit DAAD-Stipendien in Deutschland. Welche Bedeutung hat interkulturelle Kommunikation für Sie?

Als ich Anfang der 1990er-Jahre erstmals nach Deutschland kam, war vieles fremd: Sprache, Kultur, Alltagsroutinen. Ich erinnere mich gut an meinen ersten Besuch in einem Kaufhaus: Rolltreppen, Aufzüge, eine riesige Auswahl an Seifen – Dinge, die für andere selbstverständlich waren, haben mich irritiert und überfordert. Solche Erfahrungen zeigten mir, wie tief kulturelle Prägungen wirken und wie leicht Missverständnisse entstehen. Deshalb habe ich interkulturelle Kommunikation als Nebenfach gewählt, zunächst aus persönlichen Gründen, als Form der Selbsttherapie. Heute sehe ich darin eine zentrale Zukunftskompetenz. Viele Konflikte basieren nicht auf böser Absicht, sondern auf kulturellen Missverständnissen. Interkulturelle Kommunikation hilft, eigene Perspektiven zu hinterfragen und Verständigungsräume zu schaffen.

Sie sind Mitglied und ehemaliger Vizepräsident des Verbands „Germanistik in Afrika Subsahara“. Welche Ziele verfolgt der Zusammenschluss?

In unserer Arbeit orientieren wir uns an dem Konzept einer interkulturellen Germanistik. Die deutsche Sprache, Kultur und Geschichte nutzen wir als Anlass, um über afrikanische Probleme zu diskutieren. Unsere zentrale Frage lautet: Was kann unsere Disziplin zur Entwicklung der jeweiligen Länder beitragen? Germanistik darf kein isoliertes Wissensfeld sein; sie muss gesellschaftlich anschlussfähig bleiben, etwa indem sie zur Aufarbeitung kolonialer Geschichte beiträgt, interkulturelle Kompetenzen fördert oder Räume für gesellschaftliche Selbstreflexion schafft. Ich spreche mich deshalb für eine dezentrale Germanistik aus, die wie ein Orchester funktioniert: Jeder bringt seine eigene Tradition ein, und genau dadurch entsteht Bereicherung.

Am 23. Juli werden Sie im Rahmen des Kongresses der „Internationalen Vereinigung für Germanistik“ mit dem Grimm-Preis des DAAD geehrt. Welche Bedeutung hat die Auszeichnung für Sie?

Der Preis ist für mich eine große Ermutigung. Er bedeutet: Weitermachen. Neue Herausforderungen annehmen. Gleichzeitig ist er für mich eine Verbindung zur deutschen Romantik. Die Gebrüder Grimm stehen für Menschen, die nach dem Zusammenbruch unter Napoleon einen Gedächtnisschwund in der deutschen Gesellschaft feststellten und sich zusammentaten, um kulturelles Wissen zu bewahren. Sie suchten nach dem Ursprünglichen, nach Verbindungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Dieser Geist spricht mich an. Während meines Forschungsaufenthalts in Deutschland werde ich mich mit kolonialzeitlicher Literatur aus und über Kamerun beschäftigen – mit dem Ziel, eine deutsch-kamerunische Literaturgeschichte jenseits der klassischen Kanons zu rekonstruieren.

Interview: Christina Pfänder (22. Juli 2025)

Zur Person: Prof. Dr. Albert Gouaffo

Mit seiner Forschung leistet er einen wichtigen Beitrag zur Erinnerung an koloniale Gewalt: Professor Albert Gouaffo, Literatur- und Kulturwissenschaftler an der Universität Dschang im Westen Kameruns, unterstützt mit seiner Arbeit den geschichtssensiblen Umgang mit afrikanischen Kulturgütern. Er studierte in Kamerun sowie mit DAAD-Stipendien in Hannover und Saarbrücken, wo er auch promovierte und habilitierte. In seiner Dissertation beschäftigte er sich mit der Rezeption frankophoner afrikanischer Literatur im deutschen Sprachraum; in der Habilitation analysierte Gouaffo die koloniale Wissensproduktion und Erinnerungskultur in deutschsprachigen Texten über Kamerun von 1884 bis 1919. Seine Forschung verbindet Literaturwissenschaft mit postkolonialer Analyse, transkultureller Erinnerung und interkultureller Kommunikation. Als Gründer einer Germanistik-Fachzeitschrift und aktives Mitglied des Verbandes „Germanistik in Afrika Subsahara“ engagiert sich Albert Gouaffo zudem für die Vernetzung der Disziplin auf dem Kontinent.

Weiterführende Informationen : Pressemitteilung zu DAAD-Auszeichnungen für internationale Germanistik