Struktureller Rassismus? Ein Münchner Museum lädt Provenienzforscher aus Kamerun ein, aber die deutsche Botschaft lehnt die Visumsanträge ab. Die Empörung ist groß.
„Die deutsch-kamerunischen Beziehungen sind gut und werden im Rahmen von regelmäßigen Kontakten auf Regierungs- und Parlamentsebene gepflegt.“ So steht es auf der Homepage des Auswärtigen Amtes. Am Ende des Artikels über das Verhältnis zwischen der ehemaligen Kolonialmacht Deutschland und dem ehemaligen „Schutzgebiet“ Kamerun folgt der ein wenig seltsam anmutende Hinweis, eine Gewähr für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben könne nicht übernommen werden. Doch die ministerielle Vorsicht scheint nicht einmal übertrieben, denn zur Zeit knirscht es heftig im diplomatischen Gebälk: Die Deutsche Botschaft in Jaunde sieht sich mit dem Vorwurf des „strukturellen Rassismus“ konfrontiert.
Erhoben hat diesen Vorwurf Albert Gouaffo, Professor für Germanistik und interkulturelle Kommunikation an der Universität von Dschang. Drei Wissenschaftler aus seinem Kameruner Team sollten an einer Konferenz teilnehmen, mit der das Museum Fünf Kontinente, das ehemalige Staatliche Museum für Völkerkunde in München, ein Provenienzforschungsprojekt zur Sammlung Max von Stettens, des Kommandeurs der kaiserlichen deutschen Truppen in Kamerun, abschließen wollte. Aber die deutsche Botschaft monierte die fehlende Geburtsurkundes eines Dekans, hegte offenbar Zweifel an der Bereitschaft einer Wissenschaftlerin, nach Ablauf der Tagung in ihre Heimat zurückzukehren, und lehnte die Visumsanträge ab. Dass Kamerun, wie mehr als hundert andere Länder auch, als Hochrisikogebiet gilt, scheint keine Rolle gespielt zu haben.
Kolonialpolitische Ohrfeige
Bénédicte Savoy, eine der maßgeblichen Stimmen auf dem Gebiet der Restitutionsdebatte und der Dekolonisierung europäischer Museen, beklagt, dass hier die „restriktive Visapolitik Deutschlands und der EU“ einmal mehr die Forschung zu Objekten aus kolonialen Kontexten konterkariere. Tatsächlich ist die Situation paradox: Der deutsche Staat, in Gestalt seiner Pass- und Visastelle in Jaunde, hindert kamerunische Wissenschaftler an der Teilnahme an einer Tagung zur deutsch-kamerunischen Geschichte, die ein deutsches Museum veranstaltet und die der deutsche Staat, in Gestalt des Zentrums für Kulturgutverluste, unterstützt und fördert.
Bénédicte Savoy hat die Begründung der Botschaft auf Twitter als „fragwürdig“ bezeichnet. Deutschlandfunk Kultur zitiert aus einem der Ablehnungsbescheide und spricht von einer „kolonialpolitischen Ohrfeige“ für die Wissenschaftler aus Kamerun. Aber die Ohrfeige trifft auch ihre deutschen Kollegen, denn ein adäquater wissenschaftlicher Umgang mit der Kolonialgeschichte ist ohne Beteiligung von Wissenschaftlern aus den ehemaligen Kolonialgebieten kaum möglich und nur wenig sinnvoll. Die Forscher aus Kamerun werden nun lediglich per Videoeinspielung an der Tagung teilnehmen können.
Die Sammlung Max von Stettens, die auch auf brutale Strafexpeditionen unter von Stettens Kommando zurückgeht, umfasst etwa zweihundert Objekte. Das bekannteste darunter ist der sogenannte „Blaue Reiter Pfosten“, ein reichverzierter Hauspfosten, den die Künstlergruppe „Blauer Reiter“ 1912 in ihren Almanach aufnahm. Wie von Stetten in den Besitz des Pfostens gelangte, was seine Schnitzmotive bedeuten, wer ihn für wen geschaffen hat – über all das ist auch hundertundzehn Jahre später so gut wie nichts bekannt.
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