Prof. Albert Gouaffo: Lucian Scherman Lecture, Museum Fünf Kontinente, München, 8. Mai 2025
Vollständiger Text der Rede in Deutsch hier (12 Seiten, pdf-Format):
Prof. Albert Gouaffo von der Universität Dschang in Kamerun ist einer der besten Kenner der kolonialen Ausplünderung seines Landes durch Deutschland. Gemeinsam mit Prof. Bénédicte Savoy von der Technischen Universität Berlin leitet er das kamerunisch-deutsche Forschungsprojekt zur Verlagerung kamerunischer Kulturgüter (Cultural Belongings) nach Deutschland.
Atlas der Abwesenheit
Die Ergebnisse der ersten, dreijährigen Phase der Forschungskooperation sind im Atlas der Abwesenheit dokumentiert. Demnach befinden sich aktuell mehr als 40.000 Kulturgüter aus Kamerun in deutschen öffentlichen Institutionen. Die meisten davon stammen aus der Zeit der deutschen Kolonialherrschaft. Wie der Atlas belegt, haben sich die Deutschen diese oft durch militärische Gewalt angeeignet. Kein Staat der Welt besitzt so viele kamerunische „Objekte“ in öffentlichem Besitz wie die Bundesrepublik Deutschland. Die Sammlungen in einigen deutschen Museen übertreffen einzeln betrachtet die Gesamtzahl kamerunischer Kulturgüter in der Hauptstadt Yaoundé, die mit etwa 6.000 Cultural Belongings die „typische“ Größe eines Nationalmuseums einer ehemals von Frankreich kolonisierten Region aufweist.
Nächste Phase des Forschungsprojekts
In der derzeit laufenden zweiten Phase des durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts geht es um die Verbreitung der Ergebnisse in Kamerun und Deutschland. In Kamerun richten sich die Aktivitäten an traditionelle Gemeinschaften, Zivilgesellschaft, Kulturschaffende, Universitäten und insbesondere an die Jugend des Landes.
„Zwischen Hilfslosigkeit und Handlungsbedarf“
Außer den 26 Kulturgegenständen, die 2022 dem Staat Benin von Frankreich übergeben wurden, und den rund 20 Benin-Bronzen, die Deutschland offiziell nach Nigeria zurückgebracht hat, herrscht acht Jahre nach dem Sarr-Savoy-Bericht relativer Stillstand, so die Einschätzung von Prof. Gouaffoa. Auch der Befund des Buches Atlas der Abwesenheit, das im Juni 2023 veröffentlicht wurde,
habe den Prozess der Restitution nicht beschleunigt. Prof. Gouaffo: „Kamerun und Deutschland müssen sich aufeinander zubewegen: Der momentane Stillstand ist unproduktiv und gebiert nur Indifferenz. Beide Länder brauchen einen Dialog, der grundsätzliche Differenzen nicht ausschließt und keinem Konflikt aus dem Wege geht, dabei den Streitpartner respektiert, ohne dass eigene Positionen grundlos aufgegeben werden.“
Amnesie auf kamerunischer Seite
Der gegenwärtige Dialog zwischen Kamerun und Deutschland erinnert Prof. Gouaffo an ein Gespräch zwischen einem Schwerhörigen und einem Sehbehinderten. Der eine ist taub, weil er saturiert ist, und der andere blind, weil er nur auf sich schaut. Die kamerunische Regierung habe Angst vor der Dekolonialität, die die Restitutionsdebatte mit sich bringt. Die Amnesie habe auf kamerunischer Seite auch dazu gedient, koloniale Privilegien der Elite weiter zu pflegen.
In seinem Land bestehe die Gefahr der Instrumentalisierung der Restitutionsdebatte durch die Politik, meint Prof. Gouaffo.
Bedingungen für erfolgreiche Restitution
Folgende Aspekte sind für Prof. Gouaffo von hoher Bedeutung für den anstehenden Aushandlungsprozess zwischen Kamerun und Deutschland:
„1. Deutschland muss rechtliche Lösungen finden, indem es seine Gesetzgebung über das Kulturerbe ändert.
2. Es wäre für Deutschland angemessen, eine Zentral- bzw. Anlaufstelle zu kreieren als Pendant zum kamerunischen Interministeriellen Komitee für die Repatriierung sowohl der kamerunischen Kulturgüter als auch der Gebeine ihrer Ahnen.
3. Die Finanzierung von Repatriierungsmaßnahmen bis hin zu den Herkunftsgesellschaften sollte gesichert werden.
4. Eine offizielle Entschuldigung an die Nachfahren der Opfer kolonialer Willkür sollte ausgesprochen werden, damit der Prozess der Genesung vom Trauma beginnen kann.“
Petition an die Bundesregierung
Die von Albert Gouaffo angesprochenen Erfolgsbedingungen stimmen in weiten Teilen überein mit den Forderungen einer kürzlichen Petition an die neue Bundesregierung. Die Koalitionsvereinbarung von Union und SPD enthält deutliche Worte zur notwendigen Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte, einschließlich Unterstützung der Restitution von Kulturgütern und Repatriierung von menschlichen Gebeinen.
Zivilgesellschaften und Restitutions-Komitees gefordert
Die Zivilgesellschaften in Deutschland und den früheren deutschen Kolonialgebieten sind jetzt gefordert, die Umsetzung der bundespolitischen Zielsetzung sowie die anstehenden Verhandlungen zwischen den beiden Regierungen kritisch zu begleiten. Eine wichtige Rolle spielen in dem Zusammenhang auch die offiziellen Restitutions-Komitees in den afrikanischen Nachfolgestaaten der deutschen Kolonialterritorien, nämlich in Kamerun, Tansania, Togo und Ghana.