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Das Museum “Fünf Kontinente” in München hat eine umfangreiche Sammlung mit Gegenständen aus verschiedenen Ländern und Regionen Afrikas. Doch bei vielen Objekten ist unklar, woher genau sie kommen, und ob sie gewaltsam erbeutet wurden.

Link video:
https://www.br.de/mediathek/video/erbe-des-kolonialismus-provenienzforschung-in-muenchen-av:5e30b2b5f36c29001af2aefa

Wissenschaftler aus Bayern und Kamerun gehen nun gemeinsam einen ersten Schritt. In einem Projekt, das vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste und dem bayerischen Wissenschaftsministerium gefördert ist, erforschen sie, unter welchen Umständen über 200 Gegenstände aus Kamerun ins Museum gekommen sind und ob sie zurückgegeben werden müssen.

Eines der bekanntesten Ausstellungsstücke im Museum “Fünf Kontinente” ist der sogenannte “Blaue Reiter Pfosten”. Die Künstler der Gruppe “Blauer Reiter” waren so beeindruckt von dem Hauspfosten aus Kamerun, dass sie 1912 eine Abbildung in ihren Almanach aufnahmen.

Das Erstaunliche: Die Herkunft des Pfostens wurde nicht erforscht.

Projektleiterin Provenienzforschung Karin Guggeis | Bild: BR

“Man weiß nicht, wer waren die Auftraggeber, wer waren die Nutzer, was ist überhaupt die Bedeutung, die Funktion von dem Objekt? Was bedeuten die einzelnen Motive, man kann zwar seine Vermutungen haben, aber man weiß tatsächlich nichts Definitives.”

Karin Guggeis, Projektleiterin Provenienzforschung

Und im Magazin des Museums lagern noch Tausende Objekte, größtenteils noch nie ausgestellt, bei denen unklar ist, ob sie in der Kolonialzeit gewaltsam erbeutet wurden und aus welcher Region sie kommen. Bei 200 Kunstschätzen und Artefakten aus der Sammlung Max von Stetten soll sich das nun ändern.

Der Offizier Max von Stetten war Leiter der Polizeitruppe in Kamerun und Kommandeur der Kaiserlichen Schutztruppe in Kamerun. Er hat dort Objekte teils erbeutet, teils gekauft und 1893 bis 1896 in das Museum “Fünf Kontinente” gebracht.

Sammlung Max von Stetten | Bild: BR

Wissenschaftler aus Bayern und Kamerun wollen erkunden, wie und woher die Objekte in das Museum gekommen sind, in einem Forschungsprojekt, das vom deutschen Zentrum Kulturgutverluste und dem bayerischen Wissenschaftsministerium gefördert wird. Die Projektleiterin am Museum “Fünf Kontinente”, Karin Guggeis, hat diese Sammlung ausgewählt, weil sie denkt, “… dass an dieser Sammlung sehr viel Blut kleben könnte”.

Der Kulturwissenschaftler Albert Gouaffo von der Université de Dschang wird die Forschungen in Kamerun koordinieren. Er ist mit seiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin Yrene Matchinda aus Kamerun angereist. Bei der ersten Sichtung ist er erschüttert, wie viele Kultobjekte er hier findet.

Prof. Dr. Albert Gouaffo, Kulturwissenschaftler Université de Dschang/Kamerun | Bild: BR

“Das sind Figuren, die eigentlich nicht in der Öffentlichkeit stehen dürften. Kultobjekte werden bestellt, entweder als Ahnenfigur, um die Geschichte der Aristokratie zu erzählen, oder als Fetischfigur für bestimmte Rituale oder für Initiationsriten oder für Mediziner, die heilen. Die gehören nicht in Vitrinen, wenn ich das hier finde, ist für mich eine Verletzung ihrer Rechte.”

Prof. Dr. Albert Gouaffo, Kulturwissenschaftler Université de Dschang/Kamerun

Gemeinsam erstellen die Wissenschaftler digitale Steckbriefe, mit denen Yrene Matchinda in Kamerun versucht zu klären, ob jemand diese Kunstobjekte zuordnen kann.

Vermessen mit Yrene Matchinda | Bild: BR

Vermessung mit Yrene Matchinda

Bei der Provenienzforschung geht es immer um zwei große Aspekte: die kulturelle Identität der beraubten Völker (für die die Kunstwerke stehen) und ein Beenden kolonialer Strukturen, die zum Teil bis in unsere Gegenwart hineinwirken. Alle wünschen sich eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Doch ist das bei so einem Projekt überhaupt möglich? Der Kulturwissenschaftler Albert Gouaffo ist im Förderbeirat “Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten” des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste. Er beschreibt seine bisherigen Erfahrungen bei der Provenienzforschung in Deutschland so:

“Wir haben nicht die gleichen Erwartungen. Die Deutschen möchten vielleicht mehr Information über die Gegenstände, wahrscheinlich Besitzverhältnisse legitimieren, weiß ich nicht. Aber wir Kameruner wollen über diese Objekte die Tradition wiederherstellen.”

Prof. Dr. Albert Gouaffo

Die Direktorin des Museums “Fünf Kontinente”, Uta Werlich, betont, dass gleichberechtigt unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten gearbeitet wird. Und wenn der ursprüngliche Besitzer gefunden wird und das Objekt zurückhaben will, ist das Museum auch für eine Rückgabe offen.

Uta Werlich, Direktorin Museum "Fünf Kontinente" München | Bild: BR

“Wenn wir zu dem Schluss kommen, es gibt Objekte, die eindeutig einem Gewaltkontext entstammen, bei denen wir heute der Überzeugung sind, dass sie unter ethisch fragwürdigen Bedingungen nach München gekommen sind, ja, dann wird eine Rückgabe mit Sicherheit zu diskutieren sein.”

Uta Werlich, Direktorin Museum ‘Fünf Kontinente’ München

Für den Kulturwissenschaftler Albert Gouaffo ist ganz klar: Gebrauchsgegenstände können unter Umständen in Deutschland bleiben, doch die Kultobjekte müssen restituiert werden, denn sie können den Kamerunern helfen, ihr kulturelles Erbe zu verstehen.

“Diese Objekte müssen zurück, weil die Herkunftsgesellschaft sie braucht. Sie braucht sie, weil diesem Volk etwas fehlt: Spiritualität, Religion, Bodenständigkeit, wir sind deterritorialisiert. Wir haben gelernt, dass unsere Vorfahren die Gallier waren.”

Prof. Dr. Albert Gouaffo

Sammlung Max von Stetten | Bild: BR

Bei einer Reliquiarskulptur aus der Ausstellung ist sogar schon bekannt, dass sie gewaltsam in einer Schlacht erbeutet wurde. Es steht im Eingangsbuch des Museums. Dennoch kann das Museum nicht einfach eine Rückgabe veranlassen, die Herkunftsgemeinschaft muss Besitzanspruch erheben, dann geht das Anliegen auf politische Ebene, an das Kultus- und das Finanzministerium. Die Politik könnte den Prozess vereinfachen, meint Albert Gouaffo. Für eine ehrliche Aufarbeitung der Kolonialzeit müsse der politische Wille da sein.

“Dekolonisierung muss von Berlin anfangen, im Auswärtigen Amt selbst, wo das Kolonialamt existiert hat. Die Akten sind noch immer da, jeder kann sie lesen, schauen, welche Rolle der Staat gespielt hat, schauen, ob da nicht Sonderregelungen getroffen werden sollen, um die Sache leichter zu machen.”

Prof. Dr. Albert Gouaffo

Das Forschungsprojekt in München kann nur der Anfang sein. Es geht um Aufklärung und Anerkennung der Schuld. Und um Respekt auf Augenhöhe.

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