Carl Hagenbeck, heute bekannt durch den nach ihm benannten Tierpark in Hamburg, brachte 1885 acht Personen aus Kamerun ins deutsche Kaiserreich, um ihre „Sitten und Gebräuche“ dem deutschen Publikum näherzubringen. Kopf dieser Gruppe war Prinz Samson Dido, der in seinem viermonatigen Aufenthalt nicht nur den Wünschen und Sehnsüchten des Publikums eine Projektionsfläche bot, sondern auch eine Rolle als Diplomat einnahm. Der Text erzählt seine kaum bekannte Geschichte.
Hamburg, das „Tor zur Welt“. Was verbindet die Stadt mit Kamerun?
Hamburg als Hansestadt hat seine Bürger*innen weltweit als Kaufleute verschickt. So kam gegen Mitte des 19. Jahrhunderts auch Adolf Woermann als Inhaber einer Reederei an die Kameruner Küste, wo er sich niederließ und Handelsniederlassungen gründete. Es war die Zeit, als Preußen mit dem Sieg über Frankreich 1871 das deutsche Kaiserreich im Schloss Versailles in Paris ausgerufen hatte. Die deutsche Industrie boomte und brauchte Absatzmärkte und Rohstoffquellen. Auch in der Kulturbranche entstanden mit der Gründung der deutschen Kolonien in Afrika neue Freizeitbeschäftigungen im Lande, wie die Besichtigung von Tieren und Menschen, die als „exotisch“ betrachtet in Zoos vorgeführt wurden, aber auch von kolonialen Ausstellungen, die im Reich veranstaltet wurden. Der Fisch- und Tierhändler Carl Hagenbeck nahm die neue Gelegenheit zum Anlass und „bestellte“ bei den deutschen Besatzungstruppen Bewohner*innen der unterworfenen Ländereien weltweit und vor allem aus den deutschen Kolonien, damit diese, so seine Idee, dem deutschen Publikum ihre “Sitten und Gebräuche zeigten. Diese Ausstellung und Vorführung war Hagenbecks Idee davon, wie die neuen deutschen „Mitbürger*innen“ von jenseits des Mittelmeers in Deutschland bekannt gemacht werden sollten.
Hagenbeck ließ 1885 von Agenten aus der Kolonie Kamerun eine Gruppe von acht Personen mit Hab und Gut (466 ethnographische Objekte) mit dem Woermann-Dampfer nach Hamburg bringen. Sie gastierte daraufhin für vier Monate im deutschen Kaiserreich. Die Gruppe bestand aus dem Prinzen Samson Dido mit Sohn, zwei seiner Frauen und seinem Gefolge. [1]Prinz Samson Dido aus Kamerun sollte während seines Aufenthaltes mit seiner Truppe lebhafte Tänze vorführen, Trommelkonzerte anbieten, Gefechtsübungen und auch Kanufahrten, wo immer es Wasser gab. Er zeigte den Deutschen, wie in Kamerun mit der Trommel telegraphische Nachrichten über große Distanzen gesendet wurden.
Die Gruppe kam 1886 in Hamburg an und gab Gastspiele in Hamburg, Berlin, Leipzig und Dresden. Die Initiative war nach Ansicht der Veranstalter ein Erfolg. Die Eintrittspreise für Gastspiele lagen zwischen 25 und 50 Pfennig und waren deshalb auch für kleine Verhältnisse erschwinglich. Als massenwirksames, kommerzielles oder politisch motiviertes Spektakel, das auf der Sehenswürdigkeit des außereuropäischen Fremden, vor allem auf der Idee von dessen kultureller und somatischer Fremdartigkeit fußt, sollten sogenannte Völkerschauen den Wünschen und Erwartungen der Zuschauer*innen Gestalt verleihen. Der Körper als Bedeutungsträger wurde eingesetzt, um Alltagsbeschäftigungen wie Tänze aufzuführen. Hier entpuppt sich der Machtcharakter körperlicher Darstellung. Der Körper war als Darstellungsmittel in ein instrumentelles Verhältnis zum Selbst gesetzt. Er wurde ein Ausstellungsstück, über das der ausgestellte Fremde vorher einen Vertrag mit seinem Manager abgeschlossen hatte. Er wurde zum Darstellungsstück und besaß keine Eigeninitiative vor dem neugierigen Publikum mehr. Der Inszenierende verfügte über ihn als Bedeutungsträger und nutzte ihn zur Gestaltung des eigenen Selbst. Körperlich zeichnete sich Prinz Dido von Kamerun in den Augen seiner Auftraggeber durch seinen wohlproportionierten Körperbau aus. Durch seine Bekleidung wirkte er fremdartig. Das Mädchen neben ihm mit einem schweren Sonnenschirm, die jüngste von seinen sechs Frauen (13 Jahre alt), schützte ihn als ehrenwürdige Persönlichkeit aus Afrika vor Sonnenbrand. Es wurde hier eine rassische Differenz inszeniert, die auf die Faszination des Körpers konzentriert war. Der Metallzaun markierte die Grenze zwischen dem Eigenen und dem Fremden.
Der seltsame Kulturdiplomat auf Tour in Deutschland mit seinem Hamburger Manager
Neben seinen Aufgaben als performativer Künstler wurde Prinz Dido von seinem Manager Carl Hagenbeck interessierten deutschen Unternehmern vermittelt. Er wurde jetzt als Mittler zwischen Kaufmannschaft und Kolonie eingesetzt. Er wurde Rohstofflieferant oder Botschafter zwischen der Kolonie und dem Mutterland. Er besichtigte Firmen, die ihm ihr Produktionsverfahren zeigten und ihm Fertigprodukte als Andenken gaben – eine Art moralische Korruption. In welchem Sinn Prinz Dido die Erfahrungen seines Deutschlandaufenthalts nach seiner Rückkehr in Kamerun verwerten konnte, steht nicht fest. Als Lieferant des Rohstoffs Baumwolle, die der Filzfabrik eines Herrn Haugl zugutekommen sollte, musste der Prinz im Zuge der Realpolitik des Betriebs im Auge behalten werden, da sein Vater – Chief Diedo – Zwischenhändler der Deutschen in Kamerun war. Vorab war das gegenseitige Kennenlernen am Wichtigsten. Prinz Dido wurde in der deutschen Presse mit dem regierenden „Oberhäuptling“ der Dualla, Rudolf Dualla Manga Bell, in Beziehung gesetzt. Er wäre mehrmals mit ihm verschwägert. [2]
Obwohl sein „exotischer“ Charakter nicht bezweifelt wurde, stand dieser nicht mehr im Vordergrund. Er sei ein Vertreter des „neuen deutschen Reichslandes“. Von der „Größe“ und „Macht“ Deutschlands hatte er während seines viermonatigen Aufenthaltes in Deutschland genug Beweismaterial gesammelt. Prinz Dido sei ein Bindeglied zwischen Imperium und Kolonie. Die hierarchische Beziehung, die ihn mit seinen „Reichsbrüdern“ verband, war charakteristisch für die koloniale Begegnung. Während seines Aufenthalts in der Reichshauptstadt Berlin wurde er von Kaiser Wilhelm dem I. empfangen. Dieser gab dem Prinzen Dido aus Kamerun als diplomatisches Geschenk eine Halskette mit Medaillon, die er mit Stolz während seines Auftritts in der Berliner Flora in Charlottenburg trug.Angesicht der Presseberichte und der Resonanz der Präsenz von Prinz Dido in der Hamburger Gesellschaft der Zeit, wäre es heute legitim zu fragen, was bei Hagenbeck oder in der Hansestadt an den Aufenthalt des kamerunischen Kulturdiplomaten der Kolonialzeit erinnert. Dabei sollte man davon ausgehen, dass Prinz Dido mit seinen Shows im kollektiven Gedächtnis in Hamburg im Besonderen und in anderen Städten Deutschlands im Allgemeinen sehr präsent ist – war er es doch, der den Deutschen damals eine Projektionsfläche bot, an der sie den Stand ihrer eigenen sogenannten kulturellen Entwicklung messen konnten. Vielleicht ist es an der Zeit, dass sich die Hansestadt Hamburg auch an dieser Stelle mit den Hinterlassenschaften ihrer kolonialen Vergangenheit auseinandersetzt.
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