Während der Kolonialzeit des Deutschen Kaiserreichs gelangten durch den Offizier und Kommandeur Max von Stetten über 200 Objekte aus Kamerun nach München. Seit mehr als einem Jahrhundert befinden sie sich im Museum Fünf Kontinente und nicht in ihrer ursprünglichen Heimat. Welche Lücken diese Abwesenheit in dem Herkunftsland hinterlassen haben, wird im Rahmen des Forschungsprojekts „Der ‚Blaue‑Reiter‑Pfosten‘ und die Sammlung Max von Stettens (1893-1896) aus Kamerun im Museum Fünf Kontinente München“ von kamerunischen und deutschen Wissenschaftler*innen erforscht.
Von Juliane Glahn und Marta Krus
„Die Intention war zunächst einmal Informationen über die Objekte einzuholen, die im Museum nicht zu finden waren“, sagt Professor Albert Gouaffo, der die Leitung des seit Ende 2019 laufenden Projekts in Kamerun innehat. Gemeinsam suchen er und weitere kamerunische wissenschaftliche Mitarbeiter*innen vor Ort nach den ursprünglichen Besitzer*innen der Objekte und erforschen ihre Bedeutung sowie den Erwerbskontext. „Viele der Gesellschaften können sich nicht an so vieles erinnern, was die Objekte betrifft“, sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter Dr. Ngome Elvis Nkome.
Ganz besonders wichtig bei dieser Forschungsarbeit ist es, die Herkunftsgesellschaften ausfindig zu machen und ihr Vertrauen zu gewinnen. „Wir mussten uns zunächst mal kennenlernen, da das Thema, was wir behandeln, sehr sensibel ist und der Verdacht immer besteht, dass wir als Handlanger*innen der Europäer*innen bewertet werden könnten und uns so bestimmte Informationen verweigert werden“, sagt Gouaffo. „Das andere Problem war die Informationsverweigerung, nicht nur weil Misstrauen bestand, sondern weil sie sich als Expert*innen verstehen und nicht als einfache*r Geber*innen von Informationen und dementsprechend auch so respektiert werden sollten.“
Neben der Gewinnung von Vertrauen, gab es einige weitere Hindernisse zu überwinden, um mehr über die Objekte zu erfahren. Das Land Kamerun wird durch eine sprachliche Grenze geteilt. Es besteht aus einem anglophonen, Englisch sprechenden, und einem frankophonen, Französisch sprechenden Bevölkerungsteil. In der anglophonen Region herrscht zurzeit ein durch eine Separatistenbewegung entstandener Bürgerkrieg. Die dadurch entstehenden Unruhen haben Konsequenzen für das Projekt: Zum einen ist es teils zu gefährlich gewisse Regionen, aus denen manche Objekte möglicherweise stammen, zu besuchen. Und, wie Dr. Nkome, der selbst aus dem anglophonen Landesteil stammt, erklärt: „Die interne Dynamik in der anglophonen Region hat es erschwert, Schlüsselinformant*innen zu finden, die detailliertere Informationen über die von uns untersuchte Sammlung geliefert hätten.“
Abwesende Objekte
Darüber hinaus spielt die Zusammenarbeit mit dem Museum Fünf Kontinente in München und den dort vorhandenen Informationen eine große Rolle. Einige der Informationen aus Akten waren falsch, hier wurden oft Orte verwechselt oder falschbeschriftet. „Die Sammler waren keine Ethnolog*innen,“ so Prof. Gouaffo. Zudem bleiben die Objekte der Sammlung Max von Stettens auch während des Forschungsprojekts im Münchner Museum. Den wissenschaftlichen Mitarbeitenden in Kamerun stehen dementsprechend lediglich Fotos zur Verfügung, was die Arbeit mit den Informant*innen erschwert. „Wäre das Objekt vor Ort physisch präsent, könnten sie es vielleicht anfassen, sie könnten so eine Analogie auf der Grundlage des Materials feststellen, aus dem das Objekt hergestellt wurde“, sagt Dr. Nkome.
Ein weiteres Problem stellt die lange Abwesenheit der Objekte in den Herkunftsgesellschaften dar. Seit über einem Jahrhundert befinden sich die Objekte in Deutschland. Über die Zeit haben sich die Herkunftsgesellschaften gewandelt und so können Bedeutungen und Verwendungszwecke nicht immer festgestellt werden, da sich beispielsweise auch Religionszugehörigkeiten geändert haben und dadurch heilige Gegenstände einer religiösen Praxis nicht länger erwünscht oder benötigt wurden und somit in Vergessenheit gerieten.
Der „Blaue-Reiter-Pfosten“
Das prominenteste Objekt der Sammlung ist der sogenannte „Blaue-Reiter-Pfosten“. Der lebensgroße Holzblock ist mit verschiedenen Schnitzereien, unter anderem von geometrischen Formen und menschlichen Gesichtern, verziert und wird derzeit in der Abteilung Afrika des Museums in München ausgestellt. Sein Zweck sowie seine genaue Herkunftsgesellschaft sind noch unbekannt.
Die Forscher*innen, zu denen neben Gouaffo und Nkome auch Yrine Matchinda, Lucie Mbogni Nankeng und Professor Joseph Ebune gehören, gehen zwar davon aus, dass er aus dem Waldland im Westen Kameruns und dem heutigen anglophonen Landsteil stammt, aber dass auch eine Verbindung zum Grasland im Norden und Nordwesten des Landes besteht. „Das Objekt ist eigentlich von einem Handwerker aus dem Grasland hergestellt worden, aber mit einem Material aus dem Waldland. Und die Zeichen oder die Texte, die drauf abgebildet werden, wurden auch von den Waldland-Leuten mit Farben illustriert und anders konnotiert“, sagt Prof. Gouaffo.
Als Herkunftsort vermutet der Forscher die Region um Miang im Westen Kameruns und erläutert dies wie folgt: „Die Leute von Miang, Bakundu, Mbo, Bakossi und Abbo oder Miangese sind bekannt dafür Statuen in Manneshöhe zu schnitzen.“
Auch bezüglich der ursprünglichen Verwendung des „Blauen-Reiter-Pfostens“ gibt es Vermutungen: „Die meisten Informant*innen bezeichnen Gegenstände dieser Art als Türpfosten oder Türrahmen“, sagt Dr. Nkome. Im Grasland, speziell in der Mankon-Community, werden solche Objekte an Eingängen von Palästen oder Schreinen platziert. Prof. Gouaffo hält den Holzblock für keinen einfachen Türpfosten: „Dafür ist er viel zu schwer. Der ‚Blaue-Reiter-Pfosten‘ ist ein spirituelles Objekt. Das Objekt wurde laut mündlichen Überlieferungen im sakralen Haus wie eine Statue angebracht. Am Objekt konnten Mützen, Ketten, Taschen oder Skelette hängen. Geheimbünde wie der ‚Losango‘ haben die Statue gebraucht, um bestimmte Riten zu verrichten, zum Beispiel zur Reinigung des Dorfes von bösen Geistern.“
„Im afrikanischen Kontext müssten andere Terminologien entstehen, weil ein erpresster Kauf nicht das gleiche ist, wie wenn man in einem Laden in Deutschland etwas erwirbt.“
Auch aufgrund dieser Annahme geht Prof. Gouaffo davon aus, dass der Holzblock Max von Stetten nicht geschenkt, sondern während einer Strafexpedition gewaltvoll geraubt wurde. „Ein rituelles Objekt kann man weder tauschen, noch verkaufen oder schenken“, sagt er. Zudem sei laut Florian Hoffmanns Veröffentlichung Okkupation und Militärverwaltung in Kamerun 1891 eine Strafexpedition bei den Abbo unternommen worden, die die Ortschaft Miang vollkommen zerstörte.
Die Erwerbskontexte aller Objekte sind allgemein kritisch zu betrachten: „Im afrikanischen Kontext müssten andere Terminologien entstehen, weil ein erpresster Kauf nicht das gleiche ist, wie wenn man in einem Laden in Deutschland etwas erwirbt“, erläutert Prof. Gouaffo. „Eine Schenkung ist keine Schenkung im echten Sinne, denn der Indigene akzeptiert eine Macht und dadurch zeigt er, wenn er die Schenkung macht, seine Vasallität zum neuen Herrscher“, so der Forscher weiter.
Auch ohne vollständig geklärten Zweck oder bekannte Herkunftsgesellschaft haben Objekte wie der „Blaue-Reiter-Pfosten“ eine wichtige Verbindung zu Kamerun. „Jedes Objekt, für das es keine eindeutigen Hinweise auf die ursprünglichen Eigentümer*innen gibt, sollten im Nationalmuseum aufbewahrt werden, welches das gesamte nationale Erbe des Landes beherbergt“, betont Dr. Nkome. „Mir ist wichtig, dass die Provenienzforschung mit Restitution verbunden wird und die Frage der Urheberschaft geklärt wird“, hebt Prof. Gouaffo hervor.
„Ob die Leute [in Kamerun] sich damit identifizieren oder nicht – Fakt ist, dass die Objekte ihnen einmal gehört haben. Und wie man die Zukunft jetzt gestaltet, das ist die Hauptherausforderung“, so Prof. Gouaffo. „Es erfordert ein gewisses Maß an Vorbereitungen seitens des Landes, das die Objekte erhalten soll“, so Dr. Nkome. Technische, finanzielle und materielle Logistik müssten auf Restitution erst eingestimmt werden.
Mit Abschluss des Forschungsprojekts im Januar 2022 sollen nun erstmalig die Ergebnisse der Forscher*innen des Museums und im Herkunftsland Kamerun zusammengetragen und der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
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