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Eine starke Stimme gegen das koloniale Vergessen: Albert Gouaffo
Der kamerunische Kulturwissenschaftler Albert Gouaffo kämpft für die Anerkennung kolonialer Gewalt und einen geschichtssensiblen Umgang mit Kulturgütern aus Afrika. Seine Forschung zu vergessenen kolonialen Beständen in deutschen Museumsdepots bringt Licht in ein dunkles Kapitel der deutschen Geschichte.
Über 40.000 Objekte aus Kamerun werden heute in öffentlichen Museen der Bundesrepublik Deutschland aufbewahrt – der größte Bestand weltweit. Die staatlichen Sammlungen Kameruns umfassen dagegen nur rund 6.000 Artefakte. Ein Unterschied, der die Geschichte kolonialer Enteignung von 1884 bis 1916 und damit auch den Verlust von Identität und Wissen in Zahlen fasst. Vom Linden-Museum Stuttgart bis hin zum Ethnologischen Museum Berlin lagern in deutschen Museen Kulturgüter, mit denen lange Zeit auch der Umfang kolonialen Kulturraubs in Kamerun vergessen blieb. Bis jetzt. Denn mit dem „Atlas der Abwesenheit“ – einer über 500 Seiten starken Studie mit Karten, Fotomaterial und Biografien der Artefakte – rekonstruieren der Humboldtianer Albert Gouaffo, Professor für Deutsche Literatur und Kultur an der Université de Dschang in Westkamerun und die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy von der Technischen Universität Berlin erstmalig die unsichtbare Präsenz des afrikanischen Landes in deutschen Museen.
Die Publikation basiert auf dem Projekt „Umgekehrte Sammlungsgeschichte“ und ist das Resultat einer zweijährigen Zusammenarbeit zwischen Forschenden aus Kamerun und Deutschland sowie Kurator*innen von 45 deutschen Museen. Die von Gouaffo mitinitiierte Studie will die Geschichte der Enteignung und die Perspektiven der Enteigneten vermitteln, sucht aber auch die Verbindungen zum eigenen kulturellen Erbe wiederherzustellen. Gouaffos Forschung trifft damit mitten ins Herz der aktuellen Debatten über den Umgang mit kolonialen Artefakten. Die deutsche Provenienzforschung hat in den letzten Jahren nicht zuletzt durch die Forderungen von zivilgesellschaftlichen Initiativen in den ehemaligen Kolonien wichtige Impulse erhalten. Doch erst die Verhandlungen über die Restitution der Benin-Bronzen und deren Rückführung nach Nigeria im Jahr 2022 setzte einen tiefgreifenden Prozess institutioneller Reflektion und musealer Aufarbeitung des kolonialen Erbes in Gang.
Genauso wie die deutsche Jugend von dem kulturellen Eigentum der eigenen Vorfahren lernen und darüber verfügen kann, darf dieses Privileg der afrikanischen Jugend nicht vorenthalten werden.
Albert Gouaffo, Professor für Deutsche Literatur und Kultur an der Universität Dschang, Kamerun
Albert Gouaffo, Professor für Deutsche Literatur und Kultur an der Universität Dschang, Kamerun
Das Forschungsprojekt von Gouaffo und Savoy ist ein weiterer bedeutender Schritt in der Dekolonialisierung deutscher Museen. Diese beginnt für Gouaffo mit der Präsentation und Benennung von Artefakten. Schon das Wort „sammeln“ sei ein beschönigender Ausdruck für die gewaltvolle Aneignung im kolonialen Kontext: „Der Begriff suggeriert den Eindruck, dass die Gegenstände frei verfügbar waren und man sie nur aufzuheben brauchte“, betont Gouaffo. Auch sei die Formulierung „Objekte“ unzureichend. Die Kulturgüter, die in den Museen lagern – von Textilien über rituelle Masken bis hin zu Manuskripten und Werkzeugen – seien keine passiven Artefakte, sondern Ausdruck oder gar Zentrum sozialer Interaktion. Sie besitzen eine „Präsenz“ und „Agency“ im Kontext kamerunischer Kultur und müssen als solche in gesellschaftliche Kontexte eingebettet werden.
Gouaffos Forschung zur postkolonialen Erinnerungsarbeit hat auch die Geschichtspolitik und Vergangenheitsbewältigung in Kamerun geprägt. So ist am 25. Januar 2023 ein Interministerieller Ausschuss zur Rückführung illegal ins Ausland ausgeführter kamerunischer Kulturgüter gegründet worden. Der „Atlas der Abwesenheit“ kommt auch hier zur rechten Zeit. Er bildet eine wichtige Grundlage zur Klärung von Besitzverhältnissen. Doch vor allem möchte Gouaffo einen Dialog über neue Kooperationsmöglichkeiten anstoßen: „Im Falle Kameruns und Deutschlands sollte kollaborativ über die Bedingungen der Rückführung mancher dieser Kulturgüter verhandelt werden. Dies wäre auch eine Chance die bilateralen Beziehungen neu zu denken.“